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DURCH & DURCH

 

von Patrizia Keller

 

Im Erdgeschoss des Kunsthauses wird in den Arbeiten von Nesa Gschwend die Farbe Rot in ihrem ganzen Facettenreichtum aufgegriffen. Für die Künstlerin existieren verschiedene Ebenen von Rot, so hat jede ihrer Arbeiten eine eigene Beziehung dazu: Die Farbe kann auf die Blutzirkulation verweisen, oder in zarten Farbtönen auf die Haut, das Fleisch. Aber ebenso gut erinnert sie an ein Zirkulationssystem auf gesellschaftlicher Ebene. In grösseren Werkgruppen von genähten und teils geschnittenen Textilobjekten, in Form von Mehlskulpturen und einer Serie von Zeichnungen setzt sich Nesa Gschwend mit der Visualisierung innerer Vorgänge auseinander. Thematisiert werden Räume und die Suche nach dem Dazwischen. Immer wieder lotet sie die Grenzbereiche zwischen dem Innen- und Aussenraum, dem Ich und der Welt aus. Die wiederholten Aufenthalte Nesa Gschwends in Indien, ihr langjähriger künstlerischer Austausch mit diesem Land zeichnen sich in ihren Werken deutlich ab.

Nesa Gschwend kommt aus dem Theater und der Performance. Ihr gesamtes Schaffen geht vom Handeln aus. Die Trennlinie zwischen Performance und Objekt ist dabei oftmals durchlässig. Ihre Arbeiten wirken grundsätzlich körperhaft. Der Kreislauf als Grundprinzip allen Lebens – ein andauernder Prozess von Werden, Sein und Vergehen – prägt das Denken und Schaffen der Künstlerin. Nebst Wiederholungen in ihren Performances, erforscht sie die immer gleichen Sujets und greift stets auch wieder auf ältere Arbeiten zurück. Ihr Interesse an der Differenz im Gleichen widerspiegelt sich ebenfalls in den Buchobjekten, die hier in Zofingen das erste Mal präsentiert werden.

Über den Boden fliesst ein beschriftetes Band mit den unterschiedlichen Tätigkeiten, die uns als Individuum ausmachen. Es setzt sich in den Zeichnungen an der linken Wand fort und verstrickt sich zur Figur. Die Zeichnungen mit den groben, in sattem Rot verlaufenden Linien besitzen etwas Gewalttätiges, etwas Hartes – wie das Leben selbst. «Manchmal braucht es Formen, die sich klar manifestieren», wie die Künstlerin meint.

Als würde sich die rote Linie durch die Werke hindurch schlängeln, formiert sie sich immer wieder zu etwas Neuem. Die im satten Rot gehaltenen Arbeiten verlieren ihre Härte und werden diffuser, die Linien filigraner, um sich schliesslich in Form von Scherenschnitten zu einem fragilen Gewebe zu verbinden. Von zahlreichen Händen gebildet, steht Network als Sinnbild für das globale Netzwerk, das wir gemeinsam erschaffen und sich endlos fortsetzen liesse. Dabei stellt Nesa Gschwend sich Fragen wie: «Was brauchen wir alle? Wer hat davon zu wenig oder zu viel, und von was?» Ihre Beschäftigung mit der Gestik stammt ebenfalls aus dem Theater. Auf der Bühne vorwiegend als nonverbales Ausdrucksmittel verwendet, ist es im Alltag Träger vieler Botschaften. Durch die Geste der Hände entstehen Körper und Zwischenräume. Während bei den Scherenschnitten dieser Hohlraum herausgeschnitten wurde, ist er bei den kleinen roten Mehlobjekten aufgefüllt. Die Gesten sind zur Skulptur erstarrt.

Auf der rechten Hälfte des Ausstellungsraums findet sich ein eigentlicher 'Porträtsalon'. Die Arbeit am Gesicht hat in Nesa Gschwends Schaffen eine zentrale Bedeutung. So wie sie mit den Gesten das Dazwischen sucht, geht sie auch in den Porträts dem Ausdruck nach, welcher unter der Oberfläche der Mimik liegt. Das Gesicht zeigt sich als Berührungspunkt zwischen dem Innen und Aussen. «Wie man etwas wahrnimmt, bleibt immer auch eine Frage des eigenen Standpunkts», ist die Künstlerin überzeugt. So lässt sich in der Mimik unseres Gegenübers vieles auf uns selbst schliessen. Einige der Porträtzeichnungen erinnern an Embryos, an den Beginn des Lebens. Zugleich sind sie auch ephemer und besitzen etwas Geisterhaftes. Sie mahnen an Metamorphosen. Ebenso ähneln sie der Form einer Zelle. Beim menschlichen Kopf finden sich analog dazu ausgeformte Einbuchtungen, so als hätte sich die Zelle zweigeteilt. Auch hier findet eine endlose Wiederholung statt: Formen, die sich stets von neuem generieren, worauf wiederum etwas Neues entsteht.