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DER LANDBOTE

Freitag, 4. Februar 2011 

 

Schnittstellen mit Spiegeleffekt

 

 

katharina_Henkings_Papierschnitte_(Hintergrund) und Nesa Gschwends Installationen bilden raffinierte Schnittstellen.

 

 

«Schnittstelle» heisst die neue Ausstellung im Kunst- raum Winterthur. Katharina Henking und Nesa Gschwend sezieren Papier, Stoff und ihre Lebenswege. Arrangiert ist alles zu einer Art hinterhältigem Spiegelkabinett.

 

christina peege

 

Zugegeben, wer über die Ausstellung zweier Frauen schreibt und die Metapher des Spiegels benutzt, gerät in den Verdacht, Stereotypen aufzuwärmen. Was aber die Künstlerinnen Katharina Henking (1957) und Nesa Gschwend (*1959) im Kunstraum arrangieren, ist ein ästhetisch aufregendes, sinnliches, aber auch ziemlich abgründiges Spiegelkabinett, das mit bildlichen wie biografischen Schnittstellen spielt. Diese stellen im Werk beider Künstlerinnen ein zentrales Moment dar: Henking arbeitet mit Papierschnitten, Gschwend schneidet textiles Material oder Papier für ihre Installationen. Der Titel «Schnittstelle» ist zudem mit der Biografie der beiden Künstlerinnen verknüpft. Kennen gelernt haben sich die beiden vor gut 33 Jahren zu Ende der Lehr- und Studienzeiten in St. Gallen. Seither haben sich ihre Wege immer wieder gekreuzt oder eben «geschnitten».

Statt nun den Kunstraum in einer Einzelausstellung zu bespielen, haben sich die beiden Künstlerinnen zusam- mengetan. Entstanden sind zwei separate Arbeiten, die im Raum kommunizieren.

 

Henking hat den einen Teil des Kunstraums auf ihre ganz eigene Art in eine «gute Stube» verwandelt. Zum einen präsentiert sie zwei Bilder, in denen sie einen Scherenschnitt sowie dessen «Negativ» ausbreitet. Sie spielt mit der Assoziation des Wandbilds – das Format ist jedoch ist so überdimensioniert, dass neben oder unter dem Bild keinerlei Mobiliar mehr Platz hat. Das Bild, einst untergeordnetes Déco über dem Sofa oder sonst wo, «rächt» sich indem es den vertrauten Wohnraum quasi überwuchert und seine Bewohner verdrängt.

Ausserdem appliziert Henking Scherenschnitte auf die Täferung des Ausstellungsraums und spielt auf die berüchtigte «Blümchentapete» bür- gerlicher Stuben an. Die Verdoppe- lungen, die durch die Spiegelung ein- zelner Motive zustande kommt, ver- leiht der Arbeit eine ornamentale Wirkung. Doch das harmlos bis spiessig wirkende Arrangement wird hinterhältig unterlaufen: Die Muster bestehen unter anderem aus verdoppelt gespiegelten Maschinengewehren. Die gute Stube wird zur Schnittstelle von Idylle und Tatort, hier wird nicht nur gewohnt, sondern auch gemeuchelt, gemetzelt und massakriert.

 

Der Körper, innen und aussen

Nesa Gschwend bespielt den Raum mit mehreren Werken. Den Ausgangspunkt ihrer Arbeiten bildet dabei immer der menschliche Körper, denn Gschwend ist Schneiderin, Schauspielerin wie auch Performerin. Der Körper und insbesondere das Gesicht als Schnittstelle von Innerem und Äusserem interessieren die Künstlerin besonders: Sie inszeniert Papierschnitte von Gesichtern. Jedes ist mit einem zweiten, gespiegelten aber perfider- weise nicht identischen Gesicht verwoben. Diese in sich verschlungenen Gebilde hängen von der Decke herab und spielen mit den auf dem Boden liegenden Körperhüllen. Gschwend hat zugeschnittene textile Materialien mit Faden zusammengezogen und mit Graphit und Wachs so behandelt, dass sie wie Panzer oder Körperhüllen aus- sehen, deren Bewohner sich in Luft oder eben einen Scherenschnitt aufgelöst haben.

Mit Prozessen von Entstehung und Auflösung, die dem Körper naturgemäss innewohnen, spielen auch die Videoarbeiten – in denen Gesichter oder von Händen geformte Gegen- stände vor den Augen des Betrachters vage Gestalt annehmen, aber ebenso schnell wieder zu neuen Formen zerfliessen. Die Werke beider Künstlerin-

nen finden nun im Gegenüber einen Resonanzraum, der von sinnlichen Kontrasten und Übereinstimmungen geprägt ist. Übereinstimmungen ergeben sich in der «handgreiflichen» Technik, die mit Schnitten arbeitet, in der Verdoppelung und Spiegelung von Motiven wie auch dem Material, dem schwarzen Papier, das auf dem weis- sen Hintergrund des Raums vibriert.

Kontrastreich dagegen der Umgang mit dem Raum: Während die Performerin Gschwend ihn konkret belegt und bespielt, behauptet sich die Papierschneiderin Henking auf der Fläche – mit ebenso starker Wirkung. So entsteht eine Schnittstelle mit raffinierten Verdoppelungs- und Spiegeleffekten – der Betrachter darf sich drin wiederfinden oder auch verlieren.

 

bis 20. März Künstlergespräch mit der Kunsthistorikerin   Katja Baumhoff: 4. März, ab 19 Uhr

www.kunstraumwinterthur.ch