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Tagblatt 28. Juni 2011

 


Drinnen und draussen

 

  

Sechs Monate haben die Patienten unter der künstlerischen Leitung von Nesa Gschwend ihr Inneres abzubilden versucht. (Bild: pd)

 

«Ist mein Kopf voller Dinge?» ist der Titel einer Ausstellung in der Psychiatrischen Klinik Wil. 120 Patienten zeigen 700 Porträts aus ihrer Grenzzone.

 

Brigitte Schmid-Gugler

 

Da sind Türen, Wände, Schlösser, da ist ein Drinnen und ein Draussen. Wer hier, in der Psychiatrischen Klinik Wil, die Schwelle übertritt, ist, auch im übertragenen Sinne, drinnen – für die einen bedeutet dieses Drinnen ein Schutzraum, für die anderen eher Gefängnis. Es ist eine Grenzzone, die sich in der mal zeitlich begrenzten, mal langfristigen Befindlichkeit des Einzelnen manifestiert. «Ist mein Kopf voller Dinge?» könnte darum als Titel für das bereits zum neuntenmal durchgeführte Sommerprojekt der Ateliers «Living Museum» der Psychiatrischen Klinik Wil nicht passender sein.

 

Fragiles Projekt

Denn das, was an diesem Ort «verhandelt», begleitet und hoffnungsvoll ausgesprochen wird, betrifft immer den Kopf, ob leer oder voll. Nesa Gschwend, die im vergangenen Jahr in der Kunsthalle Wil ihre Arbeiten gezeigt hatte, wurde zur künstlerischen Leiterin des diesjährigen Projekts berufen. Mit ihren langjährigen Forschungsarbeiten am Wesen des Menschen und seinen Grenzgängen dürfte sie keine schlechte Wahl sein für dieses fragile Projekt, dessen künstlerische Oberaufsicht im vergangenen Jahr dem Künstlerduo Com&Com oblag.

 

Wer ist Du?

120 Patientinnen und Patienten und mit ihnen 20 Mitarbeitende beteiligen sich an dem Sommerprojekt. Es soll nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb der Institution Sensibilität und Aufmerksamkeit für jene Bereiche kultivieren, die unmittelbar auch an die eigene «Verwundbarkeit» appellieren.

Wie vorgehen in diesem «Sperrgebiet» der Innenwelten? Wie sich nähern? Nesa Gschwend tut es mit der ihr eigenen künstlerischen Philosophie der sezierenden Leibforschung und stellt das wohl heikelste aller Themen,

das «Porträt», in den Mittelpunkt des Kunstprojekts. Sie lässt also präzise jenen Teil erforschen, der das grösstmögliche Konfliktpotenzial in sich birgt

 

Modellieren, kleben, zeichnen

Wenn man mit der Künstlerin durch die Atelierräume schlendert, ist das Klima sehr angenehm. Sie wird begrüsst und da und dort angesprochen: «Was meinst du, sollte ich noch…?»; «Diese Schnorre ist zu gross geraten!; Ich kann nicht zeichnen», winkt eine Frau ab, die sich mit einem Kohlestift abmüht, doch Nesa Gschwend wiederholt, was sie selber auch gern befolgt: «Zeichnet mit der Hand, nicht mit dem Kopf!» Patientinnen und Patienten mit den unterschiedlichsten psychischen Defiziten zeichnen, malen, modellieren, schneidern, vertonen und drücken gestisch aus, was für sie das momentan sich abzeichnende Porträt sein könnte. Skizzen, teils schnell und intuitiv entstanden, teils zögerlich und scheu hingekritzelt. 700 Porträts, Ab-Bilder, aneinandergereiht wie ein Regiment eines noch zu entdeckenden Kontinents, grossmäulig und kleinlaut, traurig oder über alle Zweifel erhaben.

 

«Zwischen Ich und Du»- ein ganz normaler Vorgang im «verordneten» Leben.

Vernissage: 29. Juni, Eventhalle Haus C11, Psychiatrische Klinik Wil; bis 28. Juli; Führungen: 7. und 14. Juli. Rahmenprogramm auch unter www.psychiatrie-nord.sg.ch